Ausstellung

Coming Home

Ruth Bamberg, 2. November 2024

Ich spreche heute, am 2. November 2024 anlässlich der Ausstellungseröffnung meiner Multiplayer Installation „Coming home“ in Duisburg Ruhrort über die Rolle der Kunst im innenpolitischen Spannungsfeld, das aktuell durch Bedrohungen der inneren Sicherheit geprägt ist: wiedererstarkender NS-Nationalsozialismus, Antisemitismus und Nationalismus, die stets mit Feindseligkeit und Gewalt gegenüber Gleichberechtigung, Emanzipation und Individualität einhergehen. Heute verbreitet sich auf ähnliche Weise ein ein gefährliches „Virus“: Antisemitismus, völkisch-identitäres Denken, Rassismus und ein wiedererstarkender Nationalsozialismus. Was passiert, wenn meine Freunde und Bekannten sich von diesen Ideologien „anstecken“? Stehe ich dann mit meinem humanistisch-demokratischen Anspruch nach Auschwitz allein?  Weiterlesen

Last Generation


Liebe Ruth und lieber Cyrus,

für den schönen Abend im Atelier, den wir rund um Jörg Hüttermanns Konferenz erleben durften, möchte ich mich ganz herzlich bedanken! Gern denke ich daran zurück und vieles hat mich sehr beeindruckt:

  • schon allein die Lage der „Alten Bäckerei“ quasi im Vorgarten des Stahlwerks Thyssen,
  • der schöne abschließbare Innenhof mit den großen Pflanzen, die südeuropäisches Flair verbreiten und einem das Gefühl geben, in einem botanischen Garten zu sein,
  • die großen Räumlichkeiten des Ateliers voller Farben, Kunst und Kreativität 
  • und nicht zuletzt die beiden sehr sympathischen und beeindruckenden Gastgeber!

Die großen Fotos – liebe Ruth – und auch der Film waren sehr beeindruckend. Die „Letzte Generation“ waren auch Thema auf der Konferenz in Potsdam. Da hatten wir den Raphael Thelen zu Gast, einen der Hauptakteure von Last Generation, der auch das Buch „Wut“ geschrieben hat. Ich fand es sehr beeindruckend, wie die jungen Menschen im Video mit – ja, bedrohlichen – Charakteristiken unserer Gegenwart – wie Geld, Müll, Urbanisierung etc.  – konfrontiert werden und darauf reagieren/sich dazu positionieren. Das stellt ein Riesenspannungsverhältniss und ich habe mich gefragt: Was – um alles in der Welt – übergeben/hinterlassen wir ihnen? Und welche Chancen haben sie, damit klar zu kommen und ein glückliches Leben zu führen?

Weiterlesen

In Deinem Atelier, lieber Cyrus, hat mich – neben dem sehr warmherzigen Empfang von Euch beiden – auch das wache Geschichtsbewusstsein, dass sich in der Begrüßungsrede, in Schriftzügen an Wand und Decke oder zum Beispiel dem Kunstwerk zu den Attentätern des 20. Juli zeigte… Und die kurzen Worte zum Großvater erinnerten mich an meinen eigenen Opa.

Ich wurde nicht sehr weit von Duisburg geboren, in Hagen. Mein Großvater ist Jahrgang 1912. Er war erst Anfang 20, als er zusammen mit ein paar Freunden Flugblätter gegen Hitler verteilte. 
Hier gibt es einen Unterschied. Du sagtest dezidiert: „Er war kein Kommunist“. Mein Opa fühlte sich als solcher, was ich aber auch nachvollziehen kann (Wie sagte Willy Brand: Wer bis 30 kein Kommunist ist, hat kein Herz. Wer es nach 30 noch ist, hat keinen Verstand) Wie auch immer: Sie wurden geschnappt und mein Opa kam in ein Lager in Norddeutschland, wo er Moor stechen musste. Sie waren zu vielen in einem Raum, nur ein Eimer in einer Ecke, wo man seine Notdurft verrichten konnte. Die wenige Marmelade auf den Brotstücken bewegte sich vom Brot herunter vor lauter Maden. Die politischen Gefangenen waren gemischt mit Verbrechern, darunter auch Verrätern und Mörder. Diese Zeit wirkte noch sehr lange zurück – praktisch bis an sein Lebensende.

Ich erinnere mich an ein Ereignis in den 1990er Jahren. Da war er schon über 80 und langsam zu schwach, um in seinem Haus die Treppe hoch zum Schlafzimmer zu kommen. Also stellte man ihm ein Krankenbett unten ins Wohnzimmer. Meine Oma wollte auch dort schlafen, um bei ihm zu sein. Und die jungen Leute stellten ihr Bett im rechten Winkel zu dem Bett meines Opas. Ich erinnere mich noch an die Diskussion: Sie wollte lieber direkt neben ihm schlafen, aber alle meinten, das sei doch blöd, man würde dann das Wohnzimmer zustellen. Ihr Bett sei doch besser weiter weg aufgehoben, dann bliebe viel mehr Platz in dem Raum…. Sie setze sich durch und später erzählte sie den anderen, was ich längst wusste: Noch mit über 80 Jahren wurde mein Opa jede Nacht unruhig. Immer, wenn der Morgen graute. Es war die Erinnerung an diese Gefangenschaft als junger Mann. Dort hörten sie immer im Morgengrauen, wie sich Schritte der Zelle näherten – schwere Stiefelschritte im Gleichschritt. Dann das Schloss, dann wurde die Tür aufgerissen. Dann wurden scheinbar wahllos zwei Namen gerufen. Diese armen Kerle mussten mitgehen raus in die Kälte. Sie mussten ihr eigenes Grab schaufeln und wurden erschossen. Mein Opa wurde mit über 80 noch jede Nacht immer genau zu dieser Stunde unruhig und bekam schlechte Träume. Und meine Oma beruhigte ihn mit tröstenden Worten und Berührungen jede Nacht immer zu dieser Stunde…

Ach, eigentlich wollte ich Euch beiden nur DANKE sagen, aber mir ist das alles wieder eingefallen und ich hoffe, es ist nicht unpassend, dass ich es erzähle. Mein Opa, bzw. alle beide, haben noch viel mehr erlebt in dieser Zeit, aber das würde zu weit führen. Vielleicht noch kurz: Er musste später auch in den Krieg. Aber als politisch „unwürdig“ kam er nicht zu den normalen deutschen Soldaten, sondern in eine besondere Truppe – das Strafbataillon 999. Mit denen ging er bis nach Griechenland. Sie mussten vor den deutschen Soldaten herlaufen, um die Mienen aufzuspüren, die „der Feind“ in den Weg legte. Es waren knapp 100, die zu diesem Zeitpunkt aus dem Hagener Raum in das Strafbataillon eingezogen wurden und weisst du, wieviele zurückkamen? Nur zwei – einer war mein Opa, der andere sein Freund Walther, der aber sehr geschwächt war und fast nicht mehr sprach… Mein Opa hat alles zum Glück körperlich und geistig einigermaßen überstanden. Er hatte einen Schuss abbekommen – komischerweise quer durch beide Füße und musste sein Leben lang orthopädisches Schuhwerk tragen. Er hatte auch sein Leben lang Angst vor Ärzten, meine Oma hat ihn zu jedem Termin begleitet. Er hatte wohl erfahren, was Nazi-Ärzte mit Menschen angestellt hatten. Als er im Krieg einmal selbst auf dem OP-Tisch lag, war seine Furcht vor der bevorstehenden Behandlung so groß, dass er sich mit einem Skalpell die Pulsadern aufschnitt. Gerade in dem Moment kamen die Ärzte rein – sie waren offensichtlich keine Bestien in weissen Kitteln und haben ihm das Leben gerettet.
Er und meine Oma haben wohl später auch jüdischen Menschen bei der Flucht geholfen. Ich weiss nicht, im Rahmen welcher Organisation oder welchen Netzwerks. Auf jeden Fall ging er irgendwo hin und trug ein Erkennungszeichen. Die Menschen, die flüchten mussten, erkannten das Zeichen und schlossen sich ihm unauffällig an. Er brachte sie zu einem nächsten Ort, wo wieder eine Person mit einem Erkennungszeichen stand, die ihnen dann weiterhalf und so fort. Manchmal kamen sie auch für eine Zeitlang zu meinen Großeltern nach Hause, bis es dann weiterging. Gerade wird mir nochmal bewusst, welche unvorstellbaren Dinge diese Generation erlebt hat. 

Ja, all diese Geschichten sind vorbei…
… und sind es auch nicht. Die Gefahr ist weiterhin da – die ‚braune Bestie‘ hat noch Leben in sich. 
Daran hast Du mich erinner, lieber Cyrus, und das ist richtig. Man darf das alles nicht vergessen. Danke für Dein fortwährendes Engagement! Das ist richtig und bewundernswert!
Entschuldigt bitte die lange Mail. Es kam alles wieder hoch und musste einmal raus.
Cyrus schaut in die Gegenwart und erklärt Phänomene mit der Vergangenheit. Ruth schaut in die Gegenwart und zieht Implikationen für die Zukunft der ‚lost generation‘ – damit schließt Ihr ineinander an und spannt einen großen Zeitbogen.

Last but not least: Ihr hattet ja Ideen, was man vielleicht zusammen machen könnte. Das hörte sich spannend an und ich spreche nochmal mit Jörg und den anderen darüber. Mal sehen, ob irgendetwas klappt. Dann bleibt mir noch nochmal Danke zu sagen, auf Wiedersehen und herzliche Grüße

Wiebke

Wiebke Lass, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, 23. September 2024

Wiebke Lass, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, 23. September 2024

Atelier Cyrus Overbeck Kunstbegegnung mit Ruth Bamberg 17.09.2024